essay orientalischer tanz
Was ist Orientalischer Tanz
Die Vorurteile gegenüber Bauchtanz sind zwar weniger geworden, aber das Bild von halbnackten, aufreizend tanzenden Frauen, die ein bisschen mit den Hüften wackeln, geistert immer noch herum.
Leider wird dieses Bild dadurch genährt, dass hier und da Frauen leichtfertig auftreten und unter dem Etikett "Bauchtanz" die Wünsche und Vorstellungen gewisser Männer bedienen und dadurch dieses Vorurteil am Leben erhalten.
Aber es gibt weltweit wundervolle Tänzerinnen - bekannte und unbekannte - die eine andere Sprache sprechen und beweisen, dass orientalischer Tanz Technik, Übung, Kreativität, Können und Wissen verlangt.
Nicht nur die professionellen Tänzerinnen, auch die vielen Frauen, die sich in ihrer Freizeit dem orientalischen Tanz widmen, zeigen, dass sie sich nicht in Klischees verlieren und von sich selbst entfremden, sondern ganz im Gegenteil, sich im orientalischen Tanz entdecken und finden und ausdrücken.
Es gibt im orientalischen Tanz viele Stile und Auffassungen, die von Tänzerin zu Tänzerin variieren, und das ist etwas sehr Schönes: Die Tänzerinnen sind sehr individuell und zeigen im Tanz ihre Persönlichkeit.
Es gibt keine Normierung oder Standardisierung wie in anderen Tanztechniken, wie beispielsweise beim klassischen Ballett, wo aufgrund der Strukturen eine größere Anpassung an Standards erforderlich ist.
Es gibt einen unglaublichen Reichtum an Bewegungen im orientalischen Tanz, und zwar nicht nur Hüft-, Becken - und Bauchbewegungen, sondern auch Bewegungen des Brustkorbs, der Schultern, der Arme , Kopfbewegungen, Schrittkombinationen, Drehungen, Sprünge.
Daher wird die Bezeichnung "Bauchtanz" dieser Technik nicht gerecht und ich ziehe die Bezeichnung orientalischer Tanz vor.
Die Bewegungsvielfalt birgt unendlich viele Ausdrucksmöglichkeiten und dann gibt es noch die Requisiten, mit denen eine Frau tanzen kann: Schleier, Stock, Säbel, Leuchter und Zimbeln, wobei Zimbeln eher ein Musikinstrument als Requisite sind.
Wie in allen Tanztechniken entspringen die Bewegungen aus der Körpermitte. Im orientalischen Tanz tanzen wir aber nicht nur aus, sondern mit der Körpermitte! Die Bewegungen des orientalischen Tanzes sind kreis-, wellen- oder bogenförmig... Und dann gibt es noch die Shimmies: Vibrationenund Schwingungen.
Alle diese Bewegungen finden wir im Universum: Im Makrokosmos und im subatomaren Mikrokosmos. Wir spiegeln im orientalischen Tanz den kosmischen Tanz!
Wir integrieren uns in den natürlichen Bewegungsfluss, das erzeugt Wohlbefinden.
Zudem spiegelt der orientalische Tanz Bewegungen aus dem Akt des Gebärens und dem Liebesakt.
Die Wurzeln des orientalischen Tanzes liegen in rituellen Fruchtbarkeitstänzen.Sie stammen aus den Zeiten, in denen Tanz und Religion noch eine Einheit waren und alle existentiellen Prozesse in magisch-rituellen Tänzen ertanzt wurden, wie Jagdtänze, Kriegstänze, Heilungsrituale, Knaben- und Mädchenweihe, Beschwörung, Geburt und Fruchtbarkeit.
Neuere Forschungen haben ans Licht gebracht, dass über fünf Millionen Jahre matriarchale Kulturen existiert haben, in denen die Frauen mit ihrer Gabe, Leben zu gebären, im Zentrum stand enund als göttliches Prinzip des Lebens und der Fruchtbarkeit verehrt wurden, wie die zahlreichen Frauenstatuetten-Funde aus diesem Zeitraum belegen. Männerdarstellungen sind selten.
Einige dieser Statuetten scheinen zu tanzen.
In diesem Fruchtbarkeitskult, in der Verehrung der Leben spendenden großen Muttergöttin liegen die Wurzeln des orientalischen Tanzes.
Frauen gebären und stillen, Männer verfügen im Durchschnitt über etwas mehr Körperkraft und Mobilität.
Diese simplen Unterschiede mögen uns heute nicht mehr übermäßig wichtig erscheinen, aber in prähistorischen und historischen Zeiten gehören sie aufgrund des Existenzkampfs zu den wichtigsten kulturellen Faktoren.
Als der von Tieren gezogene Pflug die Hacke bei der Feldarbeit verdrängte, ging die Arbeit in ganz erheblichen Maß von den Frauen zu den Männern über, weil der Pflug viel schwerer als Hacke oder Grabstock ist.
In Gartenbaugesellschaften erzeugten Frauen etwa 80 Prozehnt der Nahrungsmittel, und entsprechend war ihr öffentlicher Einfluss beträchtlich. Eine schwangere Frau konnte immer noch mit der Hacke arbeiten, nicht aber mit dem Pflug.
Als der Pflug eingeführt wurde, übernahmen die Männer den größten Teil der Produktionsarbeit.
Die matrifokalen Produktionsweisen wichen patrifokalen, und die große Mutter wurde als Hauptgottheit vom Großen Vater verdrängt. Wo Frauen das Feld mit der Hacke bearbeiten, ist die Göttin eine Frau, wo Männer das Feld mit dem Pflug bearbeiten, ist der Gott ein Mann.
Mit dem Wandel zur patriarchalen Gesellschaft verliert die Frau an Bedeutung und ihre Gabe als Lebensspenderin an Wert. An die Stelle der Muttergöttin treten der christliche, der islamische und der jüdische Gott.
Im Tanz wiederum vollzieht sich der Wandel vom Kult- zum Kunsttanz durch die Entwicklung von Hochkulturen mit der typischen Arbeits- und Gesellschaftsteilung.
Die Gesellschaft teilt sich in herrschende und dienende Schichten. Die reichen, herrschenden Schichten lassen sich zum Zeitvertreib und zur Unterhaltung von anderenvortanzen, anstatt selbst zu tanzen: Der Schautanz ist geboren. Noch heute gibt es in Ägypten den Beruf der Solotänzerin, die auf Hochzeiten tanzt. Hhier klingen noch die alten Fruchtbarkeitsriten an. In den arabischen Ländern, Ägypten und der Türkei gibt es keine Hochzeit ohne Tänzerin, wobei die ärmeren Schichten selbst tanzen, anstatt tanzen zu lassen.
Die ursprünglichen Fruchtbarkeitstänze der Frauen überlebten im christlichen, körper- und frauenfeindlichen Europa gar nicht. Auch im Islam hatten und haben Tänzerinnen einen schweren Stand. Jedoch überlebte dieser alte Tanz bei den so genannten Zigeunerinnen, die frei umherzogen und nicht unter der Kontrolle dieser Religionen standen.
In Ägypten sind es die Ghawazee Frauen, die den Tanz durch die Zeiten hinweg am Leben erhielten. Zur Zeit der französischen Besatzung von Ägypten unter Napoleon 1798 wurden die Ghawazee, die sehr arm waren, prostituiert, ausgebeutet und verbannt, sogar ermordet. Arme und verzweifelte Tänzerinnen tanzten in Nachtclubs zum Amüsement der Besatzer und der europäischen Touristen, die zu diesen Zeiten ins exotische Ägypten reisten und von denen wir Reiseberichte und Informationen über die Tänzerinnen haben, wie beispielsweise von dem Schriftsteller Flaubert.
Die natürliche Erotik, die diesem Tanz innewohnt, hat es Frauen unter den Zwängen der patriarchalen Gesellschaften nicht leicht gemacht, sich nicht von sich selbst zu entfremden und herrschende Männerwünsche und Vorstellungen zu erfüllen und bedienen.
Für uns Frauen heute bedeutet orientalisch Tanzen, bewusst damit umzugehen selbst zu entdecken und uns auszudrücken. Die kreis -, bogen- und wellenförmigen Bewegungen spiegeln den makro- und mikro kosmischen Tanz wider, was uns in den kosmischen Bewegungsfluss integriert. Außerdem sind die Bewegungen sehr organisch, da alle eine nach außen und eine nach innen gerichtete Komponente haben. So entsteht ein harmonischer, wohltuender Fluss von: öffnenund schließen, Anspannung und Entspannung. Es gibt weiche, fließende, aber auchkraftvolle, feste Bewegungen: Wir sind also weich, zart und auch fest, kraftvoll und stark!!
Die Wirkung ist nicht nur eine wohltuende für den Körper, sondern auch für die Psyche, da sich durch die Selbsterfahrung das Bewusstsein und das Selbstbewusstsein entwickelt.
Meine langjährige Unterrichtserfahrung hat mir auch gezeigt, dass Frauen durch das gemeinsame Tanzen mit anderen Frauen ihre weibliche Schönheit entdecken. Sie entdecken die Schönheit der anderen Frauen, spiegeln sich in den anderen Frauen und entdecken ihre eigene Schönheit. Der mehr oder weniger subtile Druck, der durch das Frauenbild à la Top Models aufgebaut wird – und nicht der Realität entspricht - wird relativiert, da Frauen erleben können, dass sie, so wie sie sind, beim Tanzen Ausstrahlung und Schönheit besitzen.
Viele Frauen haben entdeckt, wie schön sie tanzen und aufgehört, gegen ihren Körper zu kämpfen. Unser Körper wird durch das Training nicht genormt, sondern geformt. Wir formen und gestalten unseren Körper , indem wir die organischen, natürlichen Bewegungen durch unseren Körper fließen lassen , wie es für unseren Körper stimmig ist. Das ist auch der Grund, warum auch 50-, 60-jährige und noch ältere Frauen orientalisch tanzen können.
Sehr wichtig ist es, anatomisch korrek, mit der richtigen Haltung und mit einem bewussten Beckenboden zu tanzen, dann ist das Tanzen gesund und wir spüren die Bewegungen wirklich.
Die Haltung stimmt den Körper wie ein Musikinstrument, so dass alle Spannungsverhältnisse stimmen. Uund dann erst ist der Körper, gerade auch der Bauch, eine Leinwand, auf der alle Bewegungen entstehen können. Leider achten nicht alle Übungsleiterinnen darauf, obwohl diese an sich organischen Bewegungen nur mit der richtigen Haltung tatsächlich organisch, gesund und ästhetisch sind.
Beatrice Grewer
Buchtipps
Ich möchte Euch noch einige Buchtitel nennen, falls ich Euer Interesse geweckt habe:
Dietlinde Karkutlis: "Bauchtanzbuch"
Wendy Buonaventura: "Die Schlange und die Sphinx"
Eluan Ghazal : "Körperwellen des Glücks"
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